„... Skulptur, so sehr diese auf den Raum als Ausdrucksmedium bezogen ist, erschöpft sich nicht in der Darstellung räumlicher Verhältnisse. Im Nebeneinander einzelner, in einer Folge linear oder zirkulär orientierter Elemente, wird Zeit räumlich anschaulich. HAWOLI hat dies in zwei Arbeiten des Jahres 1983 eigens thematisiert.

„Die Entstehung der Zeit“ nennt er eine Arbeit, die den Ursprung eines bestimmten, dynamisch zu nennenden Zeitbegriffs formuliert. Aus einem flachen Findlingsstück sind durch gezieltes Spalten zwei entstanden. Zeit entsteht ursprünglich aus einem Akt der Trennung. Aus diesem geht eine bewusst gesetzte Form hervor, die zugleich Zeichen für einen anderen Begriff von Zeit ist, als dem ursprünglichen des unbearbeiteten Steins.

Das Objekt [...] birgt drei unterschiedliche Zeitbegriffe in sich. Den einer naturgeschichtlichen Zeit, den der Zeit des Handelns selbst und einen durch das Handeln entstehenden geschichtlicher Zeit. Der abgespaltene Rest des Findlings bleibt als Teil eines Bruchs zurück, aus dem Zeit als Differenz entspringt.

Die Zeitdimension des unbehauenen Steins sprengt das menschliche Maß und Vorstellungsvermögen, reicht sie doch weit zurück ins Vorgeschichtliche von Erdzeitaltern, in denen sich die verwendeten Gesteinsformatio-nen bildeten. Es ist dies die Dimension des unvorstellbar langen Atems der Natur, für den die kurze Frist menschlicher Entwicklung nichts als eine vernachlässigbare kosmische Episode darstellt. Was aus dem Akt der Spaltung entsteht, trägt die dynamische Form geschichtlicher Zeit. Die heraus gebrochene Scheibe, durch eine alte Wagenachse zentriert, markiert den Beginn einer kontinuierlichen Zeit, deren sichtbares Zeichen das Rad ist. Doch im Ursprung liegt es, gerade aus der Natur gesprengt, ungenutzt als sich erst andeutende Möglichkeit beiseite. So ist diese Scheibe nicht nur Rad, sondern auch Kreisel und einfacher, auf die Sonne bezogener Chronometer. Schließlich wird an den deutlich ablesbaren Spuren der Bearbeitung die Zeitlichkeit des Handelns als Markierung und Setzung einer Differenz vernehmbar, als Bruch. Die Kontinuität der geschichtlichen Zeit verdankt sich einem ursprünglichen Akt der Abspaltung von der Natur und deren Zeitlichkeit.

Eine zweite Arbeit aus demselben Jahr, sie trägt den schlichten Titel „Zeit“, macht Prinzip und Dynamik von historischer Zeit und Geschichtlichkeit als verhaltene Opposition einer dynamisch gesteigerten Abfolge einzelner Elemente und dem Moment der Bewegung augenfällig. Zeit wächst an oder verrinnt, sie wälzt sich weiter, rollt etwas ab, das in sich als Element dasselbe bleibt und Bewegung ermöglicht. Zeit wird als Bewegung aus einer ursprünglichen Weglosigkeit heraus gedeutet, die sich als Wegstrecke des Fortschritts in eine verborgene Zukunft erstreckt.

Als dritte Arbeit gehört in diese Reihe, wenngleich sie das Moment der Zeit nicht schon im Titel nennt, „Ästhetik des Widerstands“, Hommage à Peter Weiss, aus demselben Jahr. In dieser Arbeit wird am deutlichsten greifbar, was allen anderen Arbeiten verdeckt eignet. Sie artikuliert ein Moment des schroffen, bruchartig sich ereignenden Übergangs von der Natur zur Ge-schichte. Aus der Zerstörung einer amorphen Naturform entsteht eine ge-schlossene geometrische Form. Die Ratio sprengt die alten Zusammenhänge auf und setzt an die Stelle einer natürlichen eine rationale Ordnung. Bewegung wird aus der Statik des Steins befreit. Wie die Welt aus dem Bewusstsein täglich immer wieder neu erschaffen wird, so wiederholt sich auch diese Zäsur unablässig. Jedes menschliche Handeln, das sich auf Gewachsenes und Gewordenes bezieht, bestätigt von Neuem die Abspaltung des Menschen und seiner Kultur von der Natur, deren Teil er gleichwohl bleibt. Als Bruch, Fragment, Teil und Ganzes zeigt sich die fatale Tendenz der Zurichtung des Natürlichen als die Folge einer zeitlichen und formschaffenden Zäsur. Tendenziell wird das je Einzelne zum Element einer Abfolge gemacht, die als solche schon Fortschritt heißt. Qualitativ vermag solches Denken und Handeln Fortschritt nicht zu Wege zu bringen, missachtet es doch die ursprünglichen Qualitäten des Natürlichen. Hierin liegt die politische Dimension von HAWOLIs Werk. Dass man diese nicht unmittelbar den Arbeiten entnehmen kann zeigt, dass die Einordnung des Werks ins Naturromantische nur die Folge eben derjenigen Ideologie ist, die es kritisch befragt. ...“

Thomas Wagner 1989