„... Eine Straßenbahnschiene bildet eine symmetrische Achse, die von zwei versetzt angeordneten, annähernd quadratischen Steinplatten flankiert wird. Zwischen diesen beiden Sandsteinplatten und der Stahlschiene entsteht durch die Gegenüberstellung ein spannungsreiches Kraftfeld. Gleichzeitig stellt die Schiene eine potentielle Bewegungslinie dar, an der sich die beiden Platten scheinbar entlang zu schieben vermögen. Spannung, virtuelle Bewegung und Veränderung sind in dieser 1987 entstandenen Arbeit gleichermaßen verbildlicht. Während das Moment der möglichen Bewegung durch die Anordnung der Teile suggeriert wird, ist der Aspekt der Spannung durch den Charakter der Materialien visualisiert. Die vom Künstler nur wenig bearbeiteten Steine mit ihren rauen Strukturen kontrastieren mit dem glatten, profilierten, maschinell hergestellten Stahl. Symmetrie und einheitlicher Rostton des Stahls bilden den Gegensatz zu Asymmetrie und lebendiger Oberfläche der Steinplatten. Die Steine, entstanden als Resultat Jahrmillionen währender Prozesse, stehen gegen den Stahl als Material der Gegenwart. Dieser Dualismus ist seit Ende der siebziger Jahre charakteristisch für HAWOLIs Schaffen: „Meiner Konzeption liegt das Grundthema Natur - Kultur zugrunde. Darin sind mit wechselnder Intensität Untersuchungen über Bewegung, Veränderung, Abhängigkeit und die Darstellung von Kraft eingeschlossen.“

HAWOLI benutzt hier wie in anderen Arbeiten den Stein als Sinnbild des Gewachsenen, Natürlichen und konfrontiert ihn mit dem auf technischem Wege erzeugten Stahl. Durch die Gegenüberstellung dieser konträren Materialien und die spezifische Anordnung der einzelnen Elemente visualisiert er Vorstellungen von Kraft, Spannung, Balance und Bewegung – letztere charakteristisch für das Verhältnis zwischen den Polen Natur und Kultur bzw. Natur und Technik. Die formale Dialektik ist somit immer auch inhaltlich deutbar.

Das in der beschriebenen Bodenskulptur angesprochene Moment der virtuellen Bewegung und Veränderung wird von 1988 an zum wichtigsten Thema der Skulpturen HAWOLIs. Während sich in der zuerst erwähnten Arbeit die gegensätzlichen Materialien spannungsvoll gegenüber stehen, ohne sich zu berühren, treten sie in einer raumgreifenden Objektgruppe von 1988 in Kontakt miteinander. Auf zwölf Stahlrollen liegen in diagonaler Anordnung fünf Steinblöcke, die sich langsam fortzubewegen scheinen. Der Eindruck einer rollenden Bewegung wird dadurch unterstützt, dass der erste Stein nach oben keilförmig ausläuft und so der Gruppe eine deutliche Richtung verleiht.

Ein dynamisches Kraftfeld entsteht, das für den Betrachter räumlich wie körperlich erfahrbar ist. Auch hier bildet das Natürliche des Steines zum gleichmäßig geformten Stahl einen Gegensatz, der durch die Reihung der Rollen noch gesteigert wird. Die scheinbare Fragilität dieser Rollen kontrastiert wiederum mit der Masse und dem Volumen der Steine. Eine formale und inhaltliche Weiterentwicklung dieser Konzeption zeigt eine 1988/89 entstandene Arbeit, bei der HAWOLI statt voluminöser Steinblöcke dünne Tonschiefertafeln benutzt. Der Schiefer ist im Vergleich zu Granit leicht spalt- und bearbeitbar. Er weist außerdem eine weniger lebendige Oberflächenstruktur und Farbigkeit auf. Seine dennoch vorhandene Individualität wird erst im Kontrast mit dem Rastersystem der seriell hergestellten Stahlrohre sichtbar. Dieses System ist hier allerdings in Unordnung geraten: Einzelne Platten schieben sich übereinander, die Rollen verlieren ihre Richtung und die gesamte Bewegung kommt ins Stocken. Das in der früheren Arbeit noch funktionierende Verhältnis zwischen Zivilisations- und Naturprodukt stürzt nun ins Chaos. Die Dynamik des Fortschritts scheint gescheitert.

Eine 1991 entstandene Arbeit kombiniert Stahlrohre und Schieferplatten, deren Anordnung die Momente der potentiellen Veränderung stärker in den Vordergrund treten lässt. Die Rohre liegen am Boden, dazwischen sind hochkant sieben Platten mit unregelmäßigem, aber annähernd rechteckigem Umriss gestellt. Die unterschiedliche Distanz zwischen den Rohren bedingt den jeweiligen Neigungswinkel der Platten, die jeden Moment den Halt zu verlieren scheinen. Das Verhältnis von Kraft und Gegenkraft, das Problem der Balance, wird hier bis zum Äußersten getrieben.

Das Gleichgewicht der Kräfte ist labil und einer ständigen Veränderung unterworfen. Das abhängige Mit- und Gegeneinander der Materialien lässt sich im Hinblick auf HAWOLIs Grundkonzeption auch hier wieder inhaltlich auf das dialektische Verhältnis von Natur und Kultur beziehen. Stein und Stahl sind allerdings nie als Gegensätze im Sinne eines naturromantischen Dualismus von Gut und Böse zu deuten, vielmehr geht es HAWOLI, wie er betont, um das Konstatieren eines faktisch bestehenden kritischen Zustands. So zeigt sein Œvre Arbeiten, in denen die Zivilisation die Natur bedroht, andere, in denen umgekehrt die Natur stärker ist als das vom Menschen Geschaffene, und schließlich Werke, die einen unentschiedenen Konflikt zwischen beiden Polen thematisieren.

Der Blick auf diese Werkreihe, bei der die Themen Bewegung und potentielle Veränderung im Vordergrund stehen, hat gezeigt, dass HAWOLI sich einer abstrakten Sprache bedient, die nicht in einer autonomen Form endet, sondern auf Inhaltliches verweist. Durch die spezifische Gegenüberstellung verschiedener Materialien und Formelemente, die als Zeichen oder Symbole zu verstehen sind, gelangt das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Kultur zur Darstellung. „Meine Skulpturen“, so der Künstler, „sind auf den ersten Blick nach formalen und räumlichen Aspekten gestaltet. Ihre autonomen Elemente beinhalten aber in ihrem Zusammenwirken immer assoziative Bezüge ...“

Inge Herold 1993